Im Gmünder Tiergarten

„Hano?“ meinst Du und schaut etwas verwundert. „Gmünder Tiergarten, was soll jetzt das sein? Gibts doch gar nicht.“ Nur Geduld, man wird Dich schon eines Besseren belehren. Wo der sein soll? Ja jetzt gib einmal acht: Wir stehen auf dem Marktplatz, Blick auf das Rathaus. Jetzt gehen wir los. Erst ein bißchen rechts, dann ein bißchen links, dann geradeaus eine ziemliche Strecke, dann wieder eine Gasse linker Hand, dann lassen wir eine Straße rechts liegen, jetzt geht es eine Strecke nach oben, dann gibt es einen langen Weg, der ganz unvermutet eine scharfe Biegung nach rechts macht. Jetzt sind wir schon längst draußen über der Stadt, die unten im Tale lieblich hingebreitet liegt und spazieren zwischen frischem Grün und blühenden Gärten. So und jetzt sind wir schon da, keine halbe Stunde haben wir gebraucht.

 

„Hier ist es also?“  „Jawohl, hier ist es.“Hm, ein hoher Zaun, stacheldrahtbewehrt, innen eine lebende Hecke. Dahinter sanft ansteigendes Gelände, Obstbaum  bestanden.

Aber wo sind denn . . . ? Donnerwetter da liegt ja schon ein Biest. Und was für eins. Eine mächtige Löwin. Glücklicherweise schläft sie eben. Sie hat sich so einen Art Felsen zum Verdauungsschlaf ausgesucht und präsentiert sich wie ein leibhaftiges Denkmal. Ein Koloß mit einem Wort. Ich schätze sie mindestens auf 20 Zentner. „Wieviel?“ Zwanzig Zentner. Ganz gewiß. Merkwürdig wie ruhig sich die Riesenkatze hält. Sie scheint wirklich einen tiefen Schlaf zu haben. Wie gemeißelt liegt sie da. Langgestreckt den globigen Schweif. In monumentalen großflächigen Formen Leib und Glieder. Den Kopf mit den geschlossenen Augenschlitzen auf die Brust geneigt. Die linke Vorderpranke lässig und leicht  nach innen gekrümmt, läßt die gewaltige Kraft ahnen, die darin steckt, wenn das majestätische Tier erwachen würde. Aber es schläft immer noch und unentwegt. Ein wahrhaft gesegneter Schlaf. Wenn nur der Herr und Hüter dieses Gartens sich blicken ließe, damit man hinein könnte.

 

 „Hallo!“ – es regt sich nichts. Ein Leichtsinn diese Raubkatze so frei herumliegen zu lassen. Wahrscheinlich wird er oben im Zwinger sein. Ob wir es versuchen hineinzuschleichen und an dem Biest vorbeizukommen? Es schläft noch immer.

 „Wenn uns aber . . . ? Ach was es wird uns niemand fressen. Und die Löwin schon gar nicht. Sieht so wohlgesättigt aus. Die tut keinem was. Und schon hängen wir am Zaun und betätigen unsere Turnerkünste. Hoppla – der weiche Boden dämpft den Aufsprung. Jetzt gilts. Mit angehaltenem Atem schleichen wir den schmalen Weg vorbei an der Löwin. Gottseidank – sie hat sich nicht bewegt.

 

Aber da – unsere Haare sträuben sich fühlbar. Hockt da dicht am Weg auf einem heißen Stein ein Leopard zum Sprung geduckt, den Rachen mit den krummen Hauzähnen fauchend aufgerissen, der ganze gedrungen-schlanke Körper eine gespannte Feder, bereit sich auf den Feind zu stürzen. Jetzt aber rasch! Unwillkürlich ducken wir uns und nehmen Deckung hinter dem nächstbesten Baum. Gottseidank, da kommt der Besitzer des  Gartens und Herr über seine Geschöpfe und geleitet uns sicher den weiten Weg. Jetzt können wir doch ohne Angst die Blicke genießerisch schweifen lassen.

 

Ah – dort drüben auf der Anhöhe zeichnen sich die klar umrissenen Linien einer dritten Leopardenkatze in die sonnenwarme Luft. Sie liegt da, die Vorderpranken parallel ausgerichtet, den scharfkantigen flachen und kurzen Kopf erhoben und läßt sich mit genießerisch geschlossenen Augen die warme Frühlingssonne auf den Leib brennen.

Man sieht dieses Tier an und ist plötzlich in einem fernen Land. In seiner heißen Heimat. Da liegt es in der fiebrigen Hitze des hohen Mittags, auf einer sonnenzerglühten Felsenplatte hoch über dem flachen gelben Wüstenland, das Haupt in den Nacken geneigt und die geschlossenen Augen dem Sonnenball zugewandt. Ein Bild jener asiatischen Gelassenheit und Trägheit, unter der sich die jähe Kraft und Wucht ungehemmter, selbstherrlicher Urgewalt verbirgt.

 

Aber wir wollen es ruhen lassen. Es ist trotz allem nicht ratsam, mit solchen Herren der Wüste und des Dschungels zu spassen. Ein kleines Wäldchen nimmt uns auf. In seinem Dämmer sitzen da und dort gespenstisch mit krummem Schnabel und kreisrunden Augen mächtige Uhus. Eine ganze Familie. Der Urvater dieser Vogelfamilie ist, wie uns der Herr des Gartens erzählt, nach Hamburg ausgewandert und hat sich dort in einem Friedhof zu dauerndem Aufenthalt niedergelassen. Auch ein behäbiges Entenpaar, echte Peking-Enten sind da, sie gemütlich aufgeplustert sitzend, er mit vorgewölbter Brust daneben stehend, den breiten Schnabel in die Brustfedern versenkt. Nette Kerle und so sympatisch wie es die Entenvögel überhaupt an sich haben, gegenüber den arroganten, hochnäsigen Gänsen. Aber damit noch nicht genug. Erst wollen wir noch einen Blick in den Stall oder Zwinger werfen, oder wie wir sonst das Gebäude nennen wollen, das stolz diese Tiergartenanlage beherrscht und überhöht. Da wartet in einem engen festen Gebäude ein sitzender Tiger auf seine Befreiung, ein jüngerer Kollege von ihm schleicht eben mit bösartigem Zähnefletschen, den gedrungenen Körper flach an die Erde gepreßt und schlangenhaft bewegt davon. Sogar ein Häslein hat sich hierher verirrt.

 

Aber – was ist denn mit dem? Die Gesellschaft scheint Meister Lampe nicht gut bekommen zu sein, denn seine Hinterläufe liegen schlaff am Boden und das runde Brüstlein ist von den steil gespreizten Vorderläufen aufgestemmt, im letzten Widerstand gegen den Tod, der schon in seinen brechenden Augen sitzt.Wir lassen das arme Häslein, das im Todeskampf erstarrt ist und das Raubzeug, das da sonst haust und trohnt und während wir auf dem kiesknirschenden Sandweg dem Ausgang zuschreiten, weiß der Herr des Gartens uns noch manches zu erzählen von dem Klein- und Großgetier, das noch unten im Tale in der Stadt seine Behausung hat und darauf wartet, sich einmal in der freien Luft des werdenden Tiergartens zeigen zu dürfen. Da gibt es noch Tiger, die pfeilwuchtig in steiler Schräge niederspringen, fauchende Panther und solche, die sich im Todeskampf winden, da gibt es verspielte Katzen, schnurrige Hasen mit wachsam gestellten oder schlapp hängenden Ohren und einem „gnitzen“ Ausdruck im Gesicht. Da sind schlanke hochbeinige Windhunde, possierliche  Bären, stolze Wolfshunde, laufende Affen, bärbeißige Bulldoggen mit vergrämtem Faltengesicht und noch manches andere, wie es eben aus Noahs Kasten kroch, sprang und flog.

 

Übrigens – zur Beruhigung ängstlicher Gemüter sei es mitgeteilt, – es besteht keine Gefahr, daß alle diese gefährlichen Raubkatzen einmal ausbrechen und das Land unsicher machen. Ihr Herr und Schöpfer –Eugen Greiner–  hat sie vorsichtshalber aus Stein und Metall gebildet. Aber er hat sich in diese Welt versenkt und sie mit so viel Kunst, Können und Liebe beseelt und den Tieren –die großen Raubkatzen sind seine Lieblinge– die Seele abgelauscht, daß sie noch voll Leben und Blutswärme scheinen. Und eben jene neueren monumentalen Bildwerke, die oben in seinem „Tiergarten“ am Hardt, unweit des Sonnenhofes stehen, zeigen deutlich, wie der Künstler von einer gründlichen handwerklich-anatomischen Durcharbeitung der Form zu einem, das Wesentliche betonenden, großflächigen Monumentalstil hinschreitet.

 

Sonderabdruck aus der „Gmünder Zeitung“ vom 9. Mai 1931